die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1982
Text # 175
Autor Bertolt Brecht
Theater
Titel Schweyk im Zweiten Weltkrieg
Ensemble/Spielort Olivier Thetre/National Theatre/London
Inszenierung/Regie Richard Eyre
Hauptdarsteller Bill Patterson/Brian Glover/Julia McKenzie
Neuinszenierung
Sendeinfo 1982.09.24/WDR/SRG Basel 1982.09.25/SWF Kultur aktuell/DLF

Noch immer gilt: Mit Brecht tun sich die Briten schwer. Fast jede Aufführung seiner Stücke schien es zu beweisen. Die Mißverständnisse waren mit Händen zu greifen, und einige konservative Kritiker, für die Brecht nie etwas anderes war als das rote Tuch, zu dem er sich bekannte, taten ein Übriges, alte Vorurteile am Leben zu erhalten. Um so mehr freut es, daß das Nationaltheater, dem man nun wirklich nicht vorwerfen kann, zur britischen Brecht-Rezeption sehr viel beigetragen zu haben, Brechts ‘Schweyk im zweiten Weltkrieg’ in einer neuen Inszenierung vorstellt, die dem Original weitgehend gerecht wird und beim Londoner Publikum voll anzukommen schien.

Links vor der offenen Bühne des Olivier Theatre sitzt eine Sechs-Mann-Kapelle und stimmt das Publikum mit Eislerschen Weisen schon vor Beginn des Stückes auf das Spektakel ein. In riesigen Karikaturen blicken die Großen der Zeit – Roosevelt, Churchill, Stalin und ihre Widersacher im deutschen Lager Hitler, Göring, Himmler und Goebbels – auf die Szene herab, in deren Mittelpunkt “der kleine Mann“ steht, der durch Nachgiebigkeit Subversion betreibt, durch schlaue Verstellung und Anpassungsfähigkeit den Mächtigen ein Schnippchen schlägt.

Hokuspokus Grand Guignol: Krachend und ächzend hebt sich zu Wagnerscher Musik wie eine gewaltige Falltür die Hitlermaske, die über der Bühne schwebt, zum ‘Vorspiel in den höheren Regionen’, wo die überlebensgroßen Führer des Dritten Reiches in Wolken throhnen. Das Mobiliar des Wirtshauses ‘Zum Kelch’ wird auf unsichtbaren Schienen von beiden Seiten der Vorbühne zur Mitte gefahren und nach dem Ende der Szene ebenso geheimnisvoll wieder abgezogen. Mittelpunkt der Inszenierung ist natürlich auch hier die Titelfigur des kleinen Mannes Schweyk, den sein loses Mundwerk in alle möglichen Kalamitäten bringt, denen er sich mit unnachahmlichem Geschick immer wieder entziehen kann, bis es auch ihn erwischt und er zur sogenannten Verteidigung der westlichen Zivilisation ins Land der Bolschewiken abkommandiert wird, wo er im Schneegestöber vor Stalingrad dem großen Diktator persönlich begegnet, der ebenso orientierungslos umherirrt wie er selbst.

Richard Eyre, der sich vor allem im zweiten Teil mit spektakulären szenischen Effekten über die Schwächen des Werkes hinwegwegzuhelfen versucht, läßt Schweyk mit der riesigen Hitlerfigur in Schnee, Wind und Nebel ein gespenstisches Tänzchen tanzen, bevor die monströse Gestalt wie der Leibhaftige mit Feuer und Rauch in den Boden versinkt.

Bill Patterson spielt Schweyk als kleinen rotbackigen Schotten, der aussieht wie eine Kreuzung von Valentin und Pallenberg und sich bewegt mit der tänzerischen Leichtigkeit eines Chaplin. Neben ihm beeindruckten vor allem Brian Glover in gigantischer Schlotterhose als Schweyks gefräßiger Freund Baloun, Julia McKenzie als Wirtin mit schöner, glasklarer Stimme und eine Angst erregende Typensammlung brutaler Nazischergen.

Die Übersetzung von Susan Davies schien bis auf kleine Schnitzer (wie bei der Pointe über die Dümmlichkeit reinrassiger Hunde, die hier durch falsche Beziehung untergeht) dem Geist des Originals nahe zu sein. Daß man sich vom Bann des ‘Verfremdungseffektes’ endlich befreit hat und meistens frisch drauflos agiert, konnte der Sache nicht schaden. Traurig nur, wenn unnötig naturalistische Bewegungen während des Sprechens oder bewußte Unterbetonung die Brillanz der Formulierungen, die sich sprachlich erhalten ließen, trüben.

Die ersten Reaktionen der englischen Presse waren überwiegend sehr positiv .“Ich kann mir keine schönere Inszenierung des Werkes vorstellen“, schrieb der Kritiker der ‘Financial Times’. Und im ‘Guardian’ hieß es: “Jeder, der noch mit der Vorstellung herumläuft, Brecht sei ein teutonisch langweiliger Didakt, sollte ins Olivier eilen, um sich eines Besseren belehren zu lassen”.

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