die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1981
Text # 161
Autor Howard Barker
Theater
Titel No End of Blame
Ensemble/Spielort Oxford Playhouse Company/Royal Court Theatre/London
Inszenierung/Regie Nicolas Kent
Sendeinfo 1981.06.13/ORF Wien/SRG Basel/Nachdruck: Darmstädter Echo

“Die Karikatur ist die niederste Kunstform. Sie ist die wichtigste Kunstform”, erklärt Bela Veracek in Howard Barkers Stück ‘No End of Blame’. “Die Karikatur ist eine befreiende Kraft. Sie ändert die Welt. Ich hasse die Welt“.

In dreizehn Stationen skizziert der Autor den Lebensweg eines Künstlers, der 1898 in Ungarn geboren wird, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in die Revolution hinein gerät, seiner Heimat den Rücken kehrt und in die Sowjetunion übersiedelt, um als Künstler beim Aufbau der neuen Gesellschaft zu helfen. Der Wahrheit verpflichtet und konsequent der Stimme seines Gewissens folgend, gerät der selbst von Lenin bewunderte Karikaturist auch im neuen Staat der Arbeiter und Bauern mit den Behörden in Konflikt, die Kritik an der revolutionären Praxis, auch da, wo sie berechtigt ist, aus taktischen Gründen nicht zulassen wollen. Vor der Idolatrie der Stalinepoche setzt Bela Veracek sich 1936 nach London ab, wo er als Star-Cartoonist Vera des ‘Daily Mirror’ zu Ehren kommt, bis Churchill dem unbeugsam kritischen Geist die Grenzen demokratischer Freiheit zeigt und der Verleger die ihm angedrohte Schließung seiner Zeitung nur mit dem freiwilligen Verzicht auf politische Unabhängigkeit verhindern kann.

Anfang der siebziger Jahre trennt sich der ‘Mirror’ von Vera zugunsten eines jüngeren Kollegen, der, wie man mitteilt, sicher weniger genial sei, doch auch weniger depressive, demokratisch engagierte, dafür lustigere Bildchen zu zeichnen verstehe. Der alte Mann verliert den Verstand, versucht sich das Leben zu nehmen und landet in einer Heilanstalt, wo er seinen Jugendfreund Grigor wiedertrifft, mit dem er früher über die Aufgabe des Künstlers zu streiten pflegte. Grigor verstand seine Rolle als ‘Versöhner’ und ‘Hüter der Schönheit’, Bela dagegen als Sucher nach Wahrheit, Seher, Mahner und Weltveränderer. Beide enden im Irrenhaus.

Howard Barkers Technik entspricht der seines Helden: Sein Stück ist eine Folge scharf pointierter Skizzen, die wie die politische Karikatur Ereignisse aufs Wesentliche reduzieren und ohne Umschweife den kritischen Punkt zu treffen versuchen. Er zeigt, wie die Regierungen in Ost und West auf die Arbeit des freien Künstlers Einfluß nehmen, sobald er die böse Wahrheit beim Namen nennt. “Künstler sind sehr gefährliche Leute, sie haben Einfluß auf Menschen“, läßt man ihn wissen. Die Großen der Politik fürchten den Rufer in der Wüste, wenn er ihre Schwächen offenbart.

Bela Veracek, die fiktive Figur des aufrechten Künstlers, hat ein reales Vorbild, den in England früher sehr bekannten politischen Karikaturisten Vicky, dem das Stück eine Art literarisches Denkmal setzt. Doch die Gestalt des unbeugsamen Mannes, der im Konflikt mit der Macht der Herrschenden durch die Lande irrt, trägt Modellcharakter.

Die Inszenierung der Oxford Playhouse Company, die ‘No End of Blame’ im Februar uraufführte und in diesen Wochen im Londoner Royal Court Theatre vorstellt, ist ebenso schnörkellos, treffsicher, kühl und genau wie das Stück selbst. Es wird auf fast gleichmäßig hell ausgeleuchteter Bühne ohne Dekoration gespielt, mit Witz und trotz seines zur Karikatur tendierenden Stils, der schnellen Folge kürzelhafter Szenen mit ständigem Wechsel von Zeit und Ort erstaunlich nuancenreich in der Darstellung (Regie: Nicolas Kent).

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