die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1975
Text # 83
Autor Henrik Ibsen
Theater
Titel Hedda Gabler
Ensemble/Spielort Royal Shakespeare Company
Inszenierung/Regie Trevor Nunn
Hauptdarsteller Glenda Jackson/Peter Eyres
Neuinszenierung
Sendeinfo 1975.07.21/DLF Nachdruck: Damtstädter Echo/ National-Zeitung Basel

“Ibsen ist (wie es im Programmheft der Royal Shakespeare Company zur neuen englischen Fassung von ‘Hedda Gabler’ heißt) – Ibsen ist zweifellos einer der größten Dramatiker der Welt und ‘Hedda Gabler’ eines seiner Meisterwerke”. Warum wirken dann, möchte man fragen, neuere Inszenierungen der ‘Hedda Gabler’ oft so seltsam verstaubt, schlecht theatralisch und unglaubhaft? Und dies, wie es scheint, umso mehr, je größer, bedeutender die Besetzung der Titelrolle ist, jener Traumrolle, die einer selbstbewußt intelligenten Schauspielerin so viel Möglichkeiten gibt, mit ihren darstellerischen Mitteln zu brillieren? ‘Hedda Gabler’ wird dabei zum Bravourstück eines weiblichen Stars reduziert, denen sich die Partner auf der Bühne nur noch als Nebenrollen zuordnen dürfen.

Seit William Archer, Ibsens Freund und Übersetzer, die Stücke in England bekannt machte, sind sie hier fester Bestandteil des klassischen Repertoires gewesen. Die Auseinandersetzung mit der viktorianischen Gesellschaft, deren Prinzipien sich noch in vielen Lebensbereichen erhalten haben, hat kürzlich in England – wie auf dem Kontinent – wieder zu einem besonderen Interesse an den Stücken des skandinavischen Dichters geführt. John Osborne ließ vor zwei Jahren am Royal Court Theatre eine eigene Neufassung von ‘Hedda Gabler’ aufführen, mit seiner Ehefrau Jill Bennett in der Titelrolle. Peter Daubeny holte eine ganze Reihe bedeutender Ibsen-Inszenierungen aus dem Ausland zur alljährlichen Welttheatersaison nach London. Anfang dieses Jahres stellte der Intendant des Nationaltheaters Peter Hall seine neue Textfassung von ‘John Gabriel Borkman’ in einer bis in alle Nebenrollen hervorragend besetzten, herrlich ausgearbeiteten Inszenierung vor, die zu einem triumphalen Erfolg wurde.

Trevor Nunn, künstlerischer Direktor der Royal Shakespeare Company, präsentiert dem Londoner Publikum in diesen Tagen endlich seine neue Übersetzung der ‘Hedda Gabler’ in einer Inszenierung, die bereits die halbe Welt bereist hat und im Herbst auch verfilmt werden soll.

Mit Glenda Jackson in der Titelrolle wurde die mit Vorschußlorbeeren umrankte ‘Hedda Gabler’ von Trevor Nunn zu einer gelinden Enttäuschung. Wie zu erwarten war, ist Glenda Jackson eine virtuose Hedda , intelligent, überlegen, in der Tat so souverän, daß ihre Partner zu Randfiguren werden. Glenda Jackson zeigt Hedda als Frau, die in ihrer Frustration mit Abscheu und Ekel reagiert auf eine Gesellschaft, der sie trotz allem verpflichtet bleibt, ein Ekel, der in dem Augenblick, da sie vom nicht ganz stilgerechten Selbstmord Lovborgs erfährt, fast bis zum Erbrechen geht. Nur durch erbarmungslose Zerstörung schafft sie sich einen Ausgleich der inneren Spannungen, die sie konsequenterweise auch in den eigenen Tod treiben.

Neben der kalt berechnenden, beinahe maskulin agierenden Hedda wirkt in der neuen Inszenierung der Royal Shakespeare Company Peter Eyres Georg Tesman wie ein naiver, unreifer Junge, linkisch, weltfremd und so lächerlich, wie Hedda ihn sehen möchte. Ein unmögliches Paar, als sexuelle Partner unvorstellbar. Das Stück, das die Glaubhaftigkeit einer zwar nicht glücklichen, aber doch wie auch immer vorstellbaren Verbindung zwischen Tesman und Hedda braucht, gerät damit völlig aus der Balance.

Nach dem Stichwort aus Ibsens Notizen zum Stück “Für Hedda ist das Leben eine Farce, der bis zum Ende beizuwohnen sich nicht lohnt“ hat Trevor Nunn vor allem die ironisch-sarkastischen Pointen herausgearbeitet, den scharfsinnigen Witz der Dialoge, die entsprechend gekonnt serviert werden.

Das Publikum, das Starttheater solcher Qualität zu sehen wünschte, kam auf seine Kosten. Die meisten Londoner Kritiker schienen begeistert. Nur einer wagte, von einem “Kompendium von Tricks” zu sprechen.

Daß sich dafür der mit einer solchen Inszenierung verbundene theatralische Aufwand lohne, wurde allgemein als selbstverständlich vorausgesetzt.

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