Das Nationaltheater feiert den 150-jährigen Geburtstag des Bühnendichters Henrik Ibsen mit einer Neuinszenierung seines dramatischen Gedichtes ‘Brand’, ein Stück, das ungekürzt sechs-ein-halb Stunden lang ist und vom Autor als Lesedrama konzipiert wurde. Es wird vorgestellt in einer neuen englischen Bearbeitung von Geoffrey Hill, die knapp drei Stunden kürzer ist. Für die Inszenierung von Christopher Morahan ließ Ralph Koltai ein eindrucksvolles Bühnenbild bauen, das aus riesigen beweglichen Eisschollen besteht, die sich im Hintergrund zu weißen Bergen türmen und die eisige Atmosphäre suggerieren, die dem Stück zu eigen ist.
‘Brand’ gilt vielen als erstes Meisterwerk des norwegischen Autors, der durch den Erfolg der Buchausgabe des Stückes erstmals die finanzielle Misere überwand, in der er bis dahin gelebt hatte. Brand selbst ist ein ebenso gewaltiger wie ambivalenter Charakter; ein Mann, der mit messianischem Eifer nach dem Motto ‘Alles oder nichts’ zu leben versucht; ein Rebell gegen Kirche und staatliche Obrigkeit; ein Pastor, der seiner Gemeinde die strengen Gebote eines alttestamentarisch lebenslustfeindlichen Gottes wie ein Strafgericht zu Lebzeiten auferlegt und sich und anderen unbedingten Gehorsam und unmenschliche Opfer abverlangt.
Ibsen schien die unbarmherzige Strenge des Pastors für ein Zeichen moralischer Stärke zu halten. Er soll gesagt haben, Brand sei er selbst in seinen besten Momenten. Wie die Titelfigur des Stückes sah sich der Dichter in der Rolle des geistigen Reformators seines Landes, kompromißloser Kämpfer gegen Lüge und Heuchelei. Brand wirkt durch die Unabdingbarkeit seines Anspruches zerstörerisch. Er ruiniert das Leben der Menschen, die zu ihm gehören, und wird am Ende, als er seine Gläubigen in die eisige Gletscherwelt der weißen Berge entführen will, von seiner Gemeinde zum Teufel gejagt. In einer letzten Szene erscheint ihm die Gestalt seiner toten Frau und gibt ihm zu verstehen, daß er einer Wahnidee gefolgt sei, sich dem Tod verschrieben habe und darum keinen Platz unter den Seligen verdiene. Eine Eislawine begräbt ihn, und von oben spricht eine Stimme: “ER ist der Gott der Liebe”.
Michael Bryant, der hier zuletzt die Hauptrolle in Robert Bolts Lenin-Stück spielte, wirkt als Brand auf abstoßende Weise grausam und unmenschlich; als ein Mann, der mit seinem puritanischen Eifer, seiner Lieblosigkeit und seinem Fanatismus keine Sympathie verdient. Der Figur fehlt die heroische Größe, das Titanenhafte, die Aura des Propheten, die plausibel macht, warum die Menschen seiner Demagogie erliegen.
Mit komödiantischer Brillianz spielt Robert Stephens die Rolle des Bürgermeisters, Brands politischen Gegenspieler, Patience Collier die verbitterte Mutter, Lynn Farleigh die bis in den Tod ergebene Ehefrau Agnes und Nicholas Selby die Rolle des undogmatischen Dekans, der als Inbegriff des korrumpierten Geistlichen der Figur des radikalen Moralisten gegenübersteht.
Trotz der schauspielerischen Leistungen, des wirkungsvollen Bühnenbildes und Geoffrey Hills hervorragender, sprachlich modernisierter Vers-Bearbeitung ein Abend mit Längen, der dem Publikum viel Geduld abverlangt und im Grunde verständlich macht, warum dieses Stück mit der riesigen Besetzung so selten gespielt wird.