die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1988
Text # 233
Autor Bertolt Brecht
Theater
Titel Der Hofmeister
Ensemble/Spielort Old Vic Theatre/London
Inszenierung/Regie Angelika Hurwcz
Brit. Erstaufführung
Sendeinfo 1988.03.17/SWF Kultur aktuell/DLF/WDR/HR/RIAS Nachdruck: Darmsrädter Echo

Die Tragikomödie ‘Der Hofmeister’ von Jacob Michael Reinhold Lenz gilt als “das neben Goethes ‘Götz’ wichtigste Theaterstück der sogenannten Sturm-und-Drang-Epoche“. Es war so gut wie vergessen, als Brecht im April 1950, kurz nach seiner Rückkehr nach Ostberlin, seine Bearbeitung des “Lust- und Trauerspiels” mit dem neugegründeten Berliner Ensemble auf die Bühne brachte. Brecht selbst führte die Regie und Angelika Hurwicz (die später als Stumme Kattrin in ‘Mutter Courage’ und Grusche im ‘Kaukasischen Kreidekreis’ berühmt werden sollte) spielte im ‘Hofmeister’ eine der weiblichen Nebenrollen (Frau Blitzer).

Jonathan Miller, der neue Intendant des Old Vic Theatre, sah vor einigen Jahren Angelika Hurwicz’ Inszenierung des Stückes in Wien und bot ihr die britische Erstaufführung an. Man durfte gespannt darauf sein, wie ein englisches Publikum auf die Tragikomödie des deutschen Schulmeisters reagieren würde, eines Stückes, das auch in deutschen Landen zu selten zu sehen ist, daß es sinnvoll sein mag, kurz zu rekapitulieren, worum es geht.

In knappen Szenen zeigt es die Geschichte eines jungen Mannes namens Läuffer, der sich bei einer adligen Familie als Hauslehrer verdingt, den körperlichen Reizen seiner Schülerin verfällt, daraufhin fliehen muß, bei einem Dorflehrer Aufnahme findet, der eines Tages seine liebliche Pflegetochter gerade noch rechtzeitig aus den Armen des von seinem Sexualtrieb überwältigten Erziehers retten kann. Aus dem Hause gewiesen, wütet Läufer gegen sich selbst, “austilgend seine Zeugungskraft, die ihm nur Pein und Elend schafft ... Und erst wenn er verstümmelt und entmannt, wird er von oben gnädigst anerkannt”.

Der Bearbeiter Brecht wünscht, daß der Hofmeister unser Mitgefühl erntet, “da er sehr unterdrückt wird, und unsere Verachtung, da er sich so sehr unterdrücken läßt”. In einer Anmerkung zur Arbeit des Berliner Ensembles an diesem Text heißt es: “Der krude Stoff des Lenzschen Werks erfordert eine besonders elegante Behandlung. Es kam auf die Grazie der Bewegung und die Musikalität der Sprache an”.

Doch genau daran mangelt es der Londoner Inszenierung. Sie wirkt unbeholfen, prosaisch und furchtbar oberflächlich. Die meisten Gestalten erscheinen undifferenziert, einige von ihnen (wie der Pastor, der Dorfschullehrer und vor allem Geheimrat vom Berg) sind von unbeschreiblicher Monotonie, andere (wie der Major, die Majorin und vor allem der Graf) zu albernen Theaterkarikaturen verkommen. Fast durchwegs wird so miserabel gesprochen, daß der geistige Gehalt des Textes, sein sozialkritischer Sinn zum größeren Teil verloren geht. Von der oft gerühmten Luzidität klassischer Brecht-Inszenierungen, ihrer geistigen Transparenz, ist hier leider keine Spur. Das Publikum schien mit der deutschen Tragikomödie nicht viel anfangen zu können und reagierte entsprechend kühl.

Die Oberflächlichkeit der Darstellung gibt den Kritikern der Londoner Tageszeitungen Gelegenheit, die Schwächen der Inszenierung – Vergröberung der Charaktere, groteske Clownerien statt bösen Humors – dem Einfluß Brechts zuzuschreiben, der von den reaktionären Geistern in Thatcherland noch immer wie der leibhaftige Klassenfeind selbst verunglimpft wird. Im ‘Daily Telegraph’ liest man von der “tödlichdialektischen Hand Brechts”, die dem Lenzschen Drama den Garaus gemacht habe. “Ich halte die Aufnahme dieser Adaptation in den Spielplan des Old Vic für eine Entgleisung des ästhetischen Geschmacks und einen künstlerischen Irrtum erster Ordnung”, wütet Charles Osborne, nennt die Inszenierung “ganz schrecklich”, lastet die “schamlos grotesken Karikaturen”, die “Eintönigkeit”, “Derbheit” und “unerträgliche Geistlosigkeit” dann aber nicht der Regie an, sondern dem schlimmen Bertolt Brecht.

Irving Wardle schreibt in der ‘Times’: “Diese Inszenierung ist doppelt willkommen, weil sie uns mit einem wundervollen Dramatiker des 18. Jahrhunderts bekanntmacht und eine Wiederbegegnung mit der Arbeit von Angelika Hurwicz ermöglicht, deren Stumme Kattrin noch mehr als Helene Weigels Spiel dazu beitrug, das britische Publikum für Brecht zu begeistern ... Frau Hurwicz liefert eine kühle, sparsame Inszenierung in der Tradition der Brecht-Verehrung”.

Der Kritiker der ‘Financial Times’ spricht von einer “äußerst Brecht-getreuen, vielleicht zu Brecht-getreuen Aufführung”. – “Warum gönnt man uns einen Brecht ohne sklavische Nachahmung seiner Manier?”, fragt dagegen der Kollege vom ‘Guardian’. “Ich begrüße die Beharrlichkeit des Old Vic, unseren Nachholbedarf an europäischen Klassikern befriedigen zu wollen. Aber zu einer Zeit, wo wir dabei sind, unsere Vorurteile, wie man Brecht spielen müsse, zu überprüfen, ist es nicht ohne Ironie zu erleben, wie der große Revolutionär noch immer mit Samthandschuhen angefaßt wird”.

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