die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1978
Text # 118
Autor Peter Barnes
Theater
Titel The Irish Hebrew Lesson
Ensemble/Spielort Royal Court Theatre/London
Inszenierung/Regie Charles Marowitz
Hauptdarsteller Timothy Wes
Uraufführung
Sendeinfo 1978.01.26/SWF Kultur aktuell/DLF/ORF Wien 1978.02.03/ SFB/Nachdruck: Darmstädter Echo

Das furchtbare sind die Fakten: Die Ermordung der Millionen in den Konzentrationslagern der Deutschen und – später – Verdrängung, Beschönigung, das Nichtgewußt-haben-wollen der anderen, die Unfähigkeit einzubekennen und auf rechte Weise zu trauern. Neue Leistungen und Erfolge der Deutschen haben die Vergangenheit gleichsam ausgeblendet: “Ein Volk, das diese Leistungen erbracht hat, hat einen Anspruch darauf, nichts mehr von Auschwitz zu hören”, meint Franz Josef Strauß. Das Bild des “häßlichen Deutschen“, über das wir uns heute so falsch erregen, ist keine Erfindung des Auslands; es sieht uns leider erschreckend ähnlich. Was freilich nicht in Abrede stellen soll, daß manch einer aus der deutschen Schande Kapital zu schlagen versteht

Peter Barnes’ im Londoner Royal Court Theatre uraufgeführtes Stück ‘Laughter!’ (Gelächter) handelt von Grausamkeit, vorgeführt an zwei historischen Modellen: an Iwan dem Schrecklichen und Ausschwitz. Es darf gelacht werden.

Gelächter befreit, gewiß. Kommt wohl aber auch darauf an, ob einer noch etwas zu lachen hat. Galgenhumor zum Beispiel ist etwas Wunderbares; doch weil die Situation, in der er entsteht, für den Betroffenen meist gar nicht lustig ist, bleibt dem mitfühlenden Zuschauer das Lachen darüber im Halse stecken.

So auch bei der Demonstration historischer Greuel, etwa beim Anblick der bestialischen Tötungsarten im Schreckenskabinett eines Zaren, der es sich leisten kann, über Leben und Tod und den unbedingten Willen zur Macht tiefsinnig melancholisch zu philosophieren: die Opfer müssen dran glauben.

Oder beim Anblick deutscher Beamter, für die die Vernichtung von Menschen nur ein Verwaltungsakt ist, ein abscheulich abstrakter Vorgang, dem gegenüber selbst die Taten des schrecklichen Iwan, der so viel sinnlicher mordet, noch in verklärtem Licht erscheinen.

Die Schrecklichkeit eines lebendig Gepfählten, der unter entsetzlichen Schreien langsam verendet, und die der Leichenberge von Auschwitz kann nicht belacht werden. Doch wer das Lächerliche sucht, der findet es überall.

Während wir im ersten Teil des Stückes den Spott des schrecklichen Iwan über die Leiden der von ihm Gefolterten teilen sollen (“Du hast gut schreien, aber ich leide mehr als du”, erklärt der Zar seinem aufgespießten Opfer), richtet sich der Sarkasmus im zweiten Teil auf die Lächerlichkeit der deutschen Spießer, die nicht wissen und wahrhaben wollen, was sie tun.

Barnes gelingt eine treffliche Satire auf das, was uns am deutschen Wesen am meisten zuwider sein muß. Doch den Spaß verdirbt, daß er nur auf Kosten anderer geht. Das Gelächter wirkt hämisch.

‘Laughter!’ beginnt mit der Erklärung eines Autors: Gelächter sei keine brauchbare Waffe gegen das Böse in der Welt; es mache sich zum Verbündeten der Tyrannei. Doch dann scheint Barnes uns vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Das Experiment mißlingt. ‘Laughter!’ endet mit einer galgenhumorigen Steptanz-Nummer zweier KZ-Häftlinge.

Peter Barnes treibt mit Entsetzen Spott. Gelächter soll aus dem Bann des Schrecklichen erlösen. Ich muß gestehen, daß ich den Spaß nicht zum Lachen fand.

Die Inszenierung von Charles Marowitz tut, was sie kann, um die Schrecken schrecklich, die Witze witzig erscheinen zu lassen. Die Schauspieler – vor allem Timothy West in der Doppelrolle als Ivan und Altparteigenosse Gottlieb – sind ganz vorzüglich. Der Text, den sie spielen, war, wie ich glaube, nicht zu retten. Wegen seiner pharisäerhaften Tendenz wirkt das Stück verlogen, selbst wo es die furchtbare Wahrheit der Fakten beschwört.

 

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