Mit Peter Zadeks Bochumer Revue ‘Kleiner Mann, was nun?’ nach dem Roman von Hans Fallada als Eröffnungspremiere finden in London zum zehnten und letzten Mal die berühmten ‘Welttheatertage’ statt. Elf Theater aus zehn Ländern stellen in dreieinhalb Monaten 21 Inzenierungen vor. Wenn die Veranstaltungsreihe mit dem ‘Schwarzen Macbeth’ des südafrikanischen Zulu-Ensembles ausklingt, werden die ‘Welttheatertage’ seit 1964 annähernd 150 Inszenierungen von 43 Theatern aus 19 Ländern auf die Bühne des Londoner Aldwych Theatre gebracht haben.
Diese eindrucksvollen statistischen Daten, die für Aufwand und Leistung der “erfolgreichsten und bedeutendsten Präsentation des internationalen Dramas” sprechen, gehen mehr oder weniger auf das Konto eines einzigen Mannes: Peter Daubeny, Organisator und künstlerischer Direktor der ‘World Theatre Season’, der sich nun aus gesundheitlichen Gründen von seiner aufreibenden Tätigkeit zurückziehen muß. Daubeney bereiste die Welt auf der Suche nach den bedeutendsten Inszenierungen anderer Länder, er wählte aus, verhandelte mit Theaterdirektoren und Behörden, organisierte die Reisen und beriet die Regisseure im Hinblick auf Veränderungen, die für ihr Gastspiel in England ratsam erschienen. Mit missionarischem Eifer verschrieb sich Daubeny der Aufgabe, über die Grenzen der Länder hinweg kulturelle Kontakte zu machen. Seinem diplomatischen Geschick war es zu verdanken, daß auch osteuropäische Bühnen in London gastieren durften, allen voran das weltberühmte Moskauer Künstlertheater.
Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre kann allen grundsätzlichen Bedenken und Zweifeln am Sinn solcher Theaterfestspiele mit guten Argumenten widersprochen werden:
Die meisten Aufführungen der ‘Theatertage’ waren, wie die Besucherzahlen beweisen, auch Erfolge beim Publikum. Die im Rahmen der ‘World Theatre Season’ vorgestellten Inszenierungen haben das Londoner Theaterleben nachhaltig beeinflußt. Die geschickte Auswahl von dramatischen Meisterwerken, die von den besten Theatern eines Landes und den besten Schauspielern, Regisseuren und Bühnenbildnern dargeboten wurden, machte die hiesigen Theater mit Stücken vertraut, die in England selten oder nie gespielt worden waren. Racine, Pirandello, Claudel, Wedekind, Lorca und Montherlant wurden durch die ‘Welttheatertage’ erst (oder wieder) entdeckt. Ausländische Regisseure und Bühnenbildner, deren Arbeit während der ‘World Theatre Season’ besonders aufgefallen war, wurden zu Gastinszenierungen ans Nationaltheater oder an andere englische Bühnen verpflichtet. Die Begegnung mit Werken, Inszenierungsweisen und Darstellungsformen aus kultur-historisch anderem Kontext , die Konfrontation mit dem Theater aus exotischeren Zonen – wie No und Bunraku aus Japan, Kathakali aus Indien, das Theater der Zulus aus Südafrika – brachte viele neue Impulse, die auf die Arbeit der englischen Bühnen befruchtend wirkte.
Von den Theatern, die zur zehnten ‘World Theatre Season’ eingeladen wurden, sind die meisten schon früher bei den ‘Welttheatertagen’ in London aufgetreten. Die Comédie Française gastiert bereits zum vierten Mal, diesmal mit Molieres ‘Eingebildetem Kranken‘ und ‘Richard III‘ in der Insenierung des Royal-Shakespeare-Company-Regisseurs Terry Hands. Das königliche Schauspielhaus aus Stockholm zeigt zum dritten Mal eine Inszenierung von Ingmar Bergman, diesmal Ibsens ‘Wildente’. Das spanische Nuria-Espert-Ensemble, Peppino de Filippos Italienische Theatergesellschaft und das südafrikanische Zulu-Ensemble bringen zum zweiten Mal Inszenierungen, die hier bereits in den vergangenen Jahren besonders großen Erfolg hatten. Die Länder Österreich und Belgien – vertreten durch das Burgtheater und Rideau de Bruxelles – waren bisher noch nicht bei den ‘Welttheatertagen’.
In einer Vorbesprechung des Londoner ‘Guardian’ zum Auftakt der zehnten ‘World Theatre Season’ und zum Bochumer Gastspiel hieß es, Zadeks Inszenierungen begegneten in England häufig dem Vorwurf, sie seien zu deutsch, während man ihn in Deutschland gerade für den Import angelsächsischer Leichtigkeit preise. Von solcher Leichtigkeit war freilich bei Zadeks Aufführung von ‘Kleiner Mann, was nun?’ im Londoner Aldwych Theatre nichts zu bemerken. Obwohl die Aufführung um fast eine Stunde verknappt worden war, um sie für englische Zuschauer verdaulicher zu machen, wirkte die Vorstellung übermäßig lang und zumindest für englische Verhältnisse ausgesprochen schwerfällig.
Die positivste der Kritiken, die am Tag nach der Premiere in den Tageszeitungen erschienen, stand in der ‘Times’, in der von einem “echten, international vergnüglichen Stück Volkstheater” die Rede war, das virtuos inszeniert worden sei. In den meisten übrigen Kritiken wurde bedauert, daß (wie es im ‘Evening Standard’ hieß) “die zarte Geschichte aus Falladas Roman von dem Gewicht teutonischen Show-Business-Klamauks zerdrückt” worden sei.